Familienunternehmen und die digitale Transformation - LAT
Wie lässt sich die Digitalisierung besser nutzen und warum sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen? Einblicke von Larissa Zeichhardt.
Wie lässt sich die Digitalisierung besser nutzen und warum sollte der Mensch im Mittelpunkt stehen? Einblicke von Larissa Zeichhardt.
Wie lassen sich Potenziale der Digitalisierung besser nutzen? Warum sollte der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen? Welche Rolle kann die Benutzerfreundlichkeit und eine nutzerorientierte Herangehensweise bei neuen digitalen Lösungen spielen? Im Gespräch mit Tenera geht Larissa Zeichhardt auf diese Fragen genauer ein und erklärt außerdem, wie wichtig schnittstellenoffene Softwareanwendungen im Arbeitsalltag auf der Baustelle sind und gibt einen Ausblick auf die Baubranche im Jahr 2030.
Die Unternehmerin Larissa Zeichhardt leitet gemeinsam mit ihrer Schwester, Arabelle Laternser, die LAT Gruppe. Ein mittelständisches Familienunternehmen mit über 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Elektromontagefirma stattet den ÖPNV mit Sicherheitstechnik aus und sorgt am Gleis für die analoge und digitale Infrastruktur. In diesem Beitrag gibt sie einen Einblick in die Digitalisierungsprojekte des Unternehmens und beschreibt, wie ihre Branche die Chancen der Digitalisierung proaktiv nutzen kann. Bei LAT selbst arbeitet die Verwaltung papierlos, Poliere nutzen digitale Klemmbretter und Bauleiter eine Baustellen-App.
Digitalisierungsprojekte - von der Baustellendokumentation bis zur Prozessautomatisierung
Der technische Fortschritt im Infrastrukturbau schreitet traditionell eher langsam voran. Das lässt sich unter anderem auf öffentliche Auftraggeber und die kleine Zahl an großen Generalunternehmern und Netzbetreibern, wie Siemens oder die Deutsche Bahn, zurückführen. Somit bleiben Fortschritte in der Digitalisierung der Baustelle oft an KMU hängen. Hier ist der technologische Fortschritt jedoch vor allem generationsabhängig. Was bedeutet das für den Wandel?
Durch Generationswechsel können Digitalisierungsvorhaben verstärkt vorangebracht werden. Genau das hat auch LAT für sich genutzt: „Wir haben einen Generationswechsel geschafft. Seitdem ist Veränderung ein Teil unserer DNA. Eine gute Grundlage, um Digitalisierungsprojekte erfolgreich umzusetzen.“ Larissa Zeichhardt sieht den Generationenwechsel zusätzlich auch als eine Art Initialzünder für Digitalisierungsvorhaben. Das größte Potenzial sah man zunächst in der Digitalisierung der Baustellendokumentation. Das Projekt ist über die letzten Jahre gewachsen und beinhaltet mittlerweile auch die Fuhrpark- und Werkzeugverwaltung. Potenzial sieht Zeichhardt auch in den Themen Prozessautomatisierung und Robotik. Hierzu gibt es auch schon konkrete Projekte wie beispielsweise bei der Vermessung von Gleisen: „Oft gibt es in der Realität kleine Abweichungen von Planungsunterlagen. Damit wir diese Unterschiede schnell sehen können, testen wir gerade, ob z. B. ein Roboterhund Spot (von Boston Dynamics), die Baustellen ablaufen und Vermessungen durchführen kann.“
Smart City: Die vernetzte Stadt basiert auf Daten
Auch Künstliche Intelligenz (KI) spielt zunehmend eine Rolle. LAT installiert für den ÖPNV u.a. Videoüberwachungssysteme, die Personenströmen aufzeichnen und die Fahrgastzählung ermöglichen. Im Rahmen des deutschen Datenschutzes wären diese Leistungen, ohne eine automatische Anonymisierung durch KI, deutlich komplizierter. Um das Potenzial von Videodaten zu heben, spielt die qualifizierte Datenanalyse eine wichtige Rolle.
Zwei übergeordnete Themen sind für den Erfolg solcher Vorhaben und einen damit verbundenen nachhaltigen Mehrwert entscheidend: Schnittstellenoffenheit und Benutzerfreundlichkeit.
Schnittstellen als Schlüssel einer nachhaltigen Digitalisierung
Bei allen bereits verfolgten oder geplanten Digitalisierungsvorhaben werden Schnittstellen, im Englischen Application Programming Interfaces (APIs), immer zentraler. Hier schlummert ein enormes, bisher noch weitgehend ungenutztes Potenzial, um die Möglichkeiten der Digitalisierung auch nachhaltig auszuschöpfen. Das Ziel ist es, Systembrüche zu überwinden und einen Datenfluss zu generieren der Doppeleingaben überflüssig macht. Dieses einfach klingende Ziel stößt jedoch schnell auf Hürden, was bei LAT besonders intern, zum Beispiel im Ausschreibungsmanagement, deutlich wird: „In dem Prozess der Ausschreibung geht es immer wieder um identische Daten: Personaleinsatz, Fuhrpark und Arbeitsaufwand. Idealerweise werden diese einmalig vom Anwender eingegeben und in allen weiteren Programmen gespiegelt. Schnittstellen verhindern, dass die Arbeit doppelt gemacht wird.“
Der freie Datenfluss ist also der Schlüssel, um fließende Übergänge zu gewährleisten. Im Umkehrschluss ist eine fehlende Schnittstellenoffenheit auch eine der größten Herausforderungen und Hemmnisse bei der Digitalisierung für viele KMU. Bei LAT sind eine Vielzahl an verschiedenen Softwarelösungen in Verwendung, die zum Teil auch miteinander kommunizieren. Hier sieht man jedoch noch mehr Potenzial, denn ohne schnittstellenoffene Programme sind KMU, gerade in der Baubranche, überhaupt nicht in der Lage, sich weiter mit der Frage zu beschäftigen, wie die Daten übertragen werden können. Wenn Unternehmen eine Software oder eine Lizenz kaufen, möchten sie die nötige Freiheit haben, die Daten uneingeschränkt nutzen zu können. Daher das Plädoyer: Es werden mehr offene Schnittstellen benötigt. Diese bieten neben dem allgemeinen Mehrwert auch konkrete Vorteile für die Mitarbeiter:innen im Unternehmen.
Anwenderbezogene Digitalisierung als Erfolgsfaktor
Bei Digitalisierungsvorhaben im Unternehmen sollte immer ein großer Wert auf den Nutzer selbst gelegt werden, also auf die Mitarbeiter:innen, sowie deren Ansprüche und Bedürfnisse. Die nutzerorientierte Gestaltung (User-centered Design) von digitalen Anwendungen birgt für Unternehmen in der Baubranche viele Chancen. Ein wichtiger Aspekt dabei kann auch die Unternehmenskultur und der Umgang mit den Mitarbeiter:innen selbst sein. Zeichhardt schätzt den Ansatz der Nutzerzentrierten Entwicklung (User Centric Design): „Wir interessieren uns für Innovationen, die auf der Baustelle gebraucht werden. Im Mittelpunkt steht dabei der Nutzer. Hat dieser z. B. keinen festen Arbeitsplatz, macht es wenig Sinn, eine Software anzubieten, die nur auf dem Desktop funktioniert.“
Auch Verbesserungsschleifen sind wichtig. So wurde die bei LAT eingesetzte Baustellen-App nach entsprechendem Feedback um eine Diktier- und Übersetzungsfunktion erweitert, um Sprachbarrieren zu senken.
Ein weiteres Beispiel veranschaulicht die Strategie, den Mehrwert digitaler Lösungen in den Vordergrund zu stellen und dabei den Mitarbeiter:innen auch die Angst vor deren Nutzung zu nehmen. Um Akzeptanz bei der Digitalisierung zu schaffen, sollen etwaige Hürden bewusst klein gehalten werden. Konkret kann es also um den Einsatz eines PDF Reader und das entsprechende PDF Markup-Tool auf der Baustelle gehen. Bauleiter können diese Werkzeuge auf eigenen Wunsch nutzen, um direkt etwas in Baupläne schreiben zu können. „Es kam der Vorschlag, ein Smartboard einzusetzen, damit Pläne in einer Größe einsehbar werden, die über das Telefon hinausgeht. Dass unser Oberbauleiter, Anfang sechzig, unser aktivster Smartboard-Nutzer ist, liegt sicher auch an dem Mehrwert, den er in der Lösung für sich erkennt.“ Gerade KMU können sich also eine nutzerorientierte Gestaltung bei der Digitalisierung zu nutzen machen: „Wir sind eine Elektromontagefirma und in den Mitteln für Forschungs- und Entwicklung eingeschränkt. Es gibt dafür keine eigene Abteilung wie in einem klassischen Konzern. Was wir aber haben und was viele größere Unternehmen nicht nutzen, ist das Wissen von jedem einzelnen Mitarbeiter, jeder einzelnen Mitarbeiterin. Und dafür brauchen wir gar kein Budget, nur einen Dialog mit dem Team.“ Bei diesem Prozess ist es auch von Vorteil, wenn das Unternehmen agil und innovativ mit der Digitalisierung umgeht, was bedeutet, dass man regelmäßiges Nutzerfeedback einholt und die Nutzer auch immer mutiger werden, ihre Wünsche zu äußern. Auch hier gibt es in der Branche noch viel ungenutztes Potenzial. Traditionen müssen hinterfragt und aufgebrochen und eine intensive, offene Kommunikation etabliert werden, die Innovationsprozesse begünstigt und vorantreibt. Die nutzerorientierte Gestaltung der Digitalisierung und der Umgang mit Mitarbeiter:innen ist auch zentral für das Thema Fachkräftemangel.
Dem Fachkräftemangel mit Digitalisierung begegnen, bestehende Mitarbeiter entlasten
Ein Grundsatzthema, bei dem großes Potenzial durch die Digitalisierung besteht, umfasst den Fachkräftemangel in der Branche allgemein und damit auch den konkreten Personalmangel bei gewerblichen Mitarbeiter:innen. Um diesem Mangel entgegenzuwirken, können Unternehmen die bestehenden gewerblichen Mitarbeiter:innen auch mit digitalen Werkzeugen entlasten. Die Möglichkeiten sind breit gefächert, ähnlich wie die Bandbreite an Digitalisierungsprojekten. Bei dieser Bandbreite an Möglichkeiten sollte auch hier der Nutzer wieder klar im Fokus stehen: „Wir führen digitale Tools ein, um effizienter zu arbeiten und dadurch Zeit zu sparen. Auf diese Weise können unsere Mitarbeiter:innen z. B. Wegzeiten einsparen.“ Dem Thema Personalmangel will man bei LAT also auch mit einer Umschichtung auf digitale Werkzeuge begegnen, um Ressourcen für wichtige Arbeiten freizumachen. In der Digitalisierung der Baustellendokumentation liegt damit in mehrfacher Hinsicht ein entscheidender Hebel bei der Entlastung bestehender Mitarbeiter:innen. Dies ist verbunden mit der Frage: Wie kann die Dokumentationsarbeit vernünftig und nachhaltig gestaltet werden, ohne den Fachkräften zu viel Kraft und Zeit abzuverlangen? Auch hier besteht großes Potenzial bei der Nutzung neuer, digitaler Werkzeuge in Verbindung mit Altbekanntem. Dabei sind die bereits angesprochenen Schnittstellen wichtig, wodurch schon die kleinsten Anpassungen einen enormen Mehrwert bringen können. Selbst kleine Schritte in der Digitalisierung können auf der Baustelle bereits einen großen Unterschied machen und nicht nur dabei helfen, bestehende Mitarbeiter:innen zu entlasten, sondern eben auch neue Fachkräfte zu gewinnen.
Die Digitalisierung muss auch in den Ausbildungsstätten ankommen, was am Beispiel verwandter Fachberufe deutlich wird: „Kanalsanierer arbeiten seit 20 Jahren mit Robotern, wann steht Automatisierung auf dem Stundenplan des Tiefbaufacharbeiters?“ Hier bedarf es also einen echten Umschwung, da heute oft noch Themen unterrichtet werden, die eigentlich gar nicht mehr relevant sind, während sich die konkreten Anforderungen längst weiterentwickelt haben.
Auf Modeworte, Phrasen und Fachtermini verzichten - Digitalisierung verständlich vermitteln
Am Begriff ‚Künstliche Intelligenz‘ wird ein grundsätzliches Dilemma erkennbar, das mit einer voranschreitenden und immer all umfassenderen Digitalisierung einhergeht: Was sollen und können solche Begriffe überhaupt vermitteln? Gerade in der Baubranche sollte der Zielgruppe von digitalen Lösungen, und dem Nutzen, den diese Lösungen mit sich bringen, eine übergeordnete Bedeutung zukommen. „KI ist so ein großer, schwer greifbarer Begriff. Daher glaube ich, dass es für unsere Branche ein Fehler ist, immer nur von KI zu sprechen, ohne einfach mal den Nutzen zu beschreiben, der dahinter steckt. Gerade im Sinne der Anwender sollten wir von den vielen Fachterminologien wegkommen, die mit fortschreitender Digitalisierung aufkommen. Für unsere Nutzer ist es doch eigentlich egal, welche Technologie dahintersteht, Hauptsache das Ergebnis passt. Wir schmeißen da gerne neue Wörter in den Raum, die ganz viele Menschen verunsichern. Und das ist manchmal hinderlich, gerade weil wir die Technologien ja eigentlich einsetzen wollen, um bestimmte Dinge zu erreichen.“
Wie begegnet man also am besten möglichen Verunsicherungen? Das Unternehmen versucht, alle Begriffe in deutscher Sprache zu halten und ganz bewusst auf Fremdwörter und große Fachbegriffe zu verzichten. So wird zum Beispiel der negativ behaftete Begriff ‚Drohne‘ kurzerhand in Vermessungswerkzeug umgetauft, das mit Luftbildern die Bauplanung unterstützen kann. Bei all den vielen neuen Wörtern und Begriffen sollte man sich also eine gewisse Normalität beibehalten und versuchen auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren. Das ist in der Baubranche ein zentraler Ansatz.
'Connected Construction' als Weichensteller für digitale Transformation
Angesichts der thematisierten Schnittstellenproblematik ist ‚Connected Construction‘ ein brennendes Thema. Hier eignet sich der Vergleich vom schnittstellenoffenen Arbeiten und einem Bauwerk: „In einem Bauwerk ist alles miteinander verbunden. Demgegenüber gibt es in der digitalen Welt aber auch Daten, die nicht miteinander verbunden sind, oder Schnittstellen, die von Herstellern auch gerne mal geschlossen werden.“ Infolgedessen müssen also offene Schnittstellen geschaffen werden, denn ohne sie sind reibungslose Prozesse in der Bauwirtschaft nicht möglich. „Immer dann, wenn wir Verkehrswege bauen, gibt es Übergänge. Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, warum bei Entwicklern diese natürlichen Übergänge nicht so gegeben sind und wie es überhaupt sein kann, dass Hersteller bestimmte Übergänge schließen dürfen. Connected Construction bedeutet für mich daher auch: Zurück zum Ursprung, weil in der Bauwelt eben alles zusammen gehört.“ In den kommenden Jahren besteht daher auch eine der zentralen Herausforderungen der Bauindustrie in Deutschland darin, schnittstellenoffener zu werden.
Die Bauindustrie in Deutschland in 2030
Auf die Bauindustrie kommen mit der parallelen Umsetzung der Energie- und Verkehrswende sowie dem Breitbandausbau in den kommenden Jahren weitere große Herausforderungen zu. Gerade mit Blick auf die Wünsche und Zielsetzungen vonseiten der Politik existiert hier eine Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Es sollte vor allem berücksichtigt werden, was von der Bauindustrie angesichts der Rahmenbedingungen tatsächlich geleistet und umgesetzt werden kann. Am Beispiel des Breitbandausbaus wird deutlich, wie groß die Unterschiede zwischen den Wünschen der Politik und der tatsächlichen Umsetzbarkeit sein können: Die Gütegemeinschaft Leitungstiefbau geht davon aus, dass der politisch geforderte Ausbau des Breitbandnetzes bis Ende 2025 aufgrund unzureichender Rahmenbedingungen die Kapazitäten der Branche überfordert. In diesem Zusammenhang ist in den kommenden Jahren auch eine Reform öffentlicher Ausschreibungen dringend notwendig, um Hemmschwellen für Innovationen abzubauen.
Ein Ziel für die Zukunft sollte sein, allen Mitarbeiter:innen in der Wertschöpfungskette einen gemeinsamen Datenaustausch zu ermöglichen – Building Information Modeling (kurz: BIM; deutsch: Bauwerksdatenmodellierung) ist hier das zentrale Thema. Bereits heute wird BIM in der Bauindustrie häufig eingesetzt und es ist davon auszugehen, dass digitales Bauen in der Zukunft noch deutlich an Fahrt aufnehmen wird.
Bis zum Jahr 2030 wird in der Bauindustrie durch das verstärkte Eintreten der Generation Z in das Arbeitsleben zudem ein besonderer Fokus auf Eigenverantwortung und agilem Arbeiten liegen. Dies wird einhergehen mit Digitalisierungsprozessen, also weg vom Papier hin zu digitalen Lösungen vor allem bei Themen wie Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit. Zudem wird agiles Arbeiten auf der Baustelle selbst stärker umgesetzt werden. Um hier in Zukunft Unsicherheiten auszuräumen, kommt es darauf an, dass Veränderungen verständlich vermittelt werden. Abschließend sind neben den genannten Veränderungen auch noch weitere Anzeichen einer voranschreitenden Digitalisierung erkennbar. Hier sind primär enorme Automatisierungsprozesse zu nennen, welche die teilweise große Diskrepanz zwischen Automatisierung und anstrengender körperlicher Arbeit in der Bauindustrie im kommenden Jahrzehnt durch die Digitalisierung immer kleiner werden lässt. Gerade auch die Familienunternehmen und KMU holen in diesem Bereich auf und sind bei den beschriebenen Prozessen oft viel agiler und innovativer als ihnen zugetraut wird.
Zeichhardt bringt es auf den Punkt: „Letztendlich sind wir im Bau immer ein Team, die Zusammenarbeit ist entscheidend.“
Bildquellen: LAT
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